Jamal Dilmen


„Schtressy Trap“ ist vieles auf einmal.
Erstens: das Debütalbum des 22-jährigen Rappers, Sängers und Songwriters Jamal. Zweitens: eine Anleitung zur mentalen Selbstverteidigung. Drittens: die Musik gewordene Explosion eines naturwissenschaftlichen Studiums. Und viertens: ein kleines Hip-Hop-Meisterwerk, das niemand auf dem Schirm hatte.

Okay, zugegeben: Das wirft Fragen auf. Hier kommen die Antworten.

Da wären zum einen die Dringlichkeit der Texte und das Zeitgemäße der Musik und der Beats. „Schtressy Trap“ ist eine Platte, die genau jetzt erscheinen muss, weil sie nach Gegenwart klingt und etwas zur Gegenwart zu sagen hat. Zum anderen hat Jamal gründlich darüber nachgedacht, mit welcher Platte er sich der Welt vorstellen möchte.

Die “schtressy years”, das war, als Jamal auf dem Land in der Nähe von Köln wohnte und sich von seinem Umfeld missverstanden und fremdbestimmt fühlte. Mit 18 flüchtete er seelisch und gesundheitlich stark angegriffen von zu Hause nach Berlin, dekonstruierte dort sämtliche Regeln und Strukturen, die ihn bislang geprägt hatten, machte lieber eigene Erfahrungen, als sich von anderen sagen zu lassen, was für ihn angeblich richtig war, und stand am Ende wie die Hauptfigur eines klassischen Entwicklungsromans da: lebensklüger und künstlerisch gereift.

Auf der Bühne hatte er schon mit drei Jahren gestanden, mit seinem Stiefvater, der die Hits von Frank Sinatra und Sammy Davis Jr. darbot. Später entdeckte er Michael Jackson für sich, Prince, Dr. Dre. Erst in Berlin aber begriff er, was die Musik von Black Coffee auszeichnet, wozu Techno in der Lage ist, was elektronische Sounds bewirken können. Abseits der festgetretenen Pfade taten sich für Jamal in vielerlei Hinsicht neue Welten auf, neue Perspektiven, die einen neuen Blick auf sich selbst ermöglichten – auf eine Existenz in einer Zeit, in der sich alles rasend schnell verändert, in der jede Information sofort abrufbar ist, in der man selbst immer sprunghafter und orientierungsloser wird und in der auf die Frage, was man denn nun werden, was man denn nun machen soll, kaum einer mehr eine Antwort findet.

Inmitten dieses allgemeinen Schlamassels kam Jamal zu einem absolut nachvollziehbaren Gedanken: Wenn sowieso alles unsicher und ungewiss ist, dann höre ich auf meinen Bauch und mache konsequent das, was ich mag und mir wirklich wichtig ist.
Aus diesem Entschluss resultierten ein wegen Unterforderung abgebrochenes Studium an einem privaten Ausbildungsinstitut für audiovisuelle Medien und eine Lehrzeit in den Aufnahmestudios von Tinseltown. Erst dann war die Zeit reif für „Schtressy Trap“, eine Platte, die einen musikalisch mit raffiniertem Songwriting, subtilem Pop-Appeal und Beats aus der internationalen Weltklasse-Liga in den Bann zieht und empfänglich für Jamals Botschaft macht. Seine eigene Selbstermächtigung legt er auch seinen
Zuhörer*innen nahe; die Fremdbestimmung sausen lassen, sich in Zeiten der Ungewissheit auf sich selbst besinnen – diese Gedanken finden sich in Jamals Texten wieder, aber sie drängen sich einem nicht auf. Jamal möchte zwar, dass sich in den Köpfen seines Publikums etwas bewegt, aber wer Fremdbestimmung ablehnt, kann niemanden überwältigen, kann niemanden zu etwas auffordern, er kann nur Sichtweisen anbieten. Platte Parolen, zackige Appelle und ermattende Eindeutigkeiten verbieten sich also, Eindeutiges mag Jamal sowieso nicht. Er will sich weder auf die Rolle des Sängers noch auf die des Rappers reduzieren lassen – „ich bin ja auch schwarz und weiß“.

Warum sich mit Zuschreibungen, Identitäten und anderen Grenzen aufhalten, wenn das selbstbestimmte Leben doch so viel zu bieten hat? „Schtressy Trap“ ist die Zusammenfassung von allen Mittelfingern, die ich meinen Eltern gezeigt habe, die ich meinen Lehrern gezeigt habe, die ich allen gezeigt habe und zeigen musste, weil sie nicht verstanden haben, was ich meine“, sagt Jamal. „Die Platte ist eine Anleitung zur mentalen Selbstverteidigung.“

Was der 23-jährige mit dem fertigen Album auslösen will, hat kurioserweise bei der Entstehung bereits geklappt. Als Jamal registrierte, dass einer seiner Freunde todunglücklich war, weil ihn sein naturwissenschaftlichen Studium so quälte und er viel lieber Beats produzieren wollte, schlug er Folgendes vor: „Gib mir ein halbes Jahr, lass uns zusammen Musik machen, und wenn es Dir dann nicht besser geht, dann fang halt wieder an zu studieren.“ Besagter Freund – Levi Moonen sein Name – schlug ein und lieferte schon nach kurzer Zeit Beats, die Jamal fassungslos machten.

Es dauerte tatsächlich nicht einmal das vorgeschlagene habe Jahr, und „Schtressy Trap“ stand. Jamal, der nicht nur singt und rappt, sondern auch Klavier und Gitarre spielt, ließ sich die catchy Toplines und klugen Texte einfallen, Levi Moonen die Beats. Gleich der Opener – das Titelstück – demonstriert mit seinen punktgenauen 808s und dem effektvollen Break, wie raffiniert und gleichzeitig einnehmend dieses Debüt ist: Clubmusik mit Hirn – wer zuhört, kann selbst entscheiden, ob das Tanzen oder das Nachdenken gerade Priorität hat. Was die Leute mit den sieben Songs machen, wie sie sie verstehen, überlässt Jamal ihnen selbst: Singt er in dem lasziven, souligen „Da Moves“ tatsächlich, dass er die Taille („waist“) der Frau kennenlernen möchte – oder sind es doch ihre Wege („ways“)? Ein potenzieller Hit ist nicht zuletzt auch „Pussydrip“ mit seinem feinen Wechselspiel aus Reduktion und Verdichtung, aus Verschleppung und einem Tempo, das Jamal einmal mehr als begnadeten Rapper zeigt. Nicht minder überzeugend: das herrlich repetitive „Bosstrip“ mit seinen lässigen Beats und dem extra-lässigem Gesang. Diese Melodien vergessen? Unmöglich.

Erscheinen wird das Album auf Jamals eigenem Label. Gegründet hat er es erst vor kurzem, nicht zuletzt auch, um Freunden einen Raum zu geben, in dem sie sich ihren Talenten entsprechend verwirklichen können. Dass die Songs auf „Schtressy Trap“ von zwei Leuten gemacht wurden und nicht von 16 Experten auf Grundlage einer Powerpoint-Präsentation, ist Jamal wichtig: „Das ist eine sehr aufrichtige Platte“, betont er. Das muss auch so sein, wenn man die Menschen nicht manipulieren, sondern auf Augenhöhe abholen will. Und ihnen ganz ehrlich etwas zu sagen hat.